Udo Kittelmann
Published: March, 2013, The Next Big Thing (Film)Marta Gnyp: Zuerst lassen sie uns über den Hamburger Bahnhof sprechen der mit der Hilfe privater Sammlungen gegründet war. Was finden Sie von der Rolle, die die privaten Sammlungen heutzutage in einem öffentlichen Museum, wie Ihrem spielen?
Udo Kittelman: Ich denke, dass in Berlin eine andere historische Grundlage herrschte, die sich nicht grundsätzlich mit der anderen Städten vergleichen lässt. Man muss sich vorstellen, dass 1989 die Präsenz von zeitgenössischer Kunst in Berlin so gut wie überhaupt nicht gegeben war. Berlin hatte die Aufgabe, innerhalb der letzten 20 Jahre Unglaubliches nachzuholen. Man musste unbedingt auf die Privatsammler setzen, um in dieser kurzen Zeit etwas zu bekommen, was ein Museum für zeitgenössische Kunst, vorstellbar macht und das wäre sicherlich aus öffentlichen Mitteln alleine niemals möglich gewesen. Es gab in Berlin kaum etwas von großer, internationaler Bedeutung und mit der Hilfe solcher Sammler wie Erich Marx oder wie mit Christian Flick konnte die Nationalgalerie, zu der ja der Hamburger Bahnhof gehört, überhaupt erst ein Fundament schaffen. Und von diesem Fundament zehren wir bis heute. Ohne Privatsammler, lassen Sie mich das eine noch sagen, geht Museum überhaupt nicht. Das war auch historisch schon so.
MG: Sehen Sie das auch als einen Trend, dass die Position der privaten Sammlungen eigentlich dominanter geworden ist? Nicht nur in Berlin, auch weltweit?
UK: Ich habe eine sehr eigene Meinung dazu. Die Nationalgalerie verdankt sich auch der Stiftung eines Privatsammlers, in den 80er, 70er Jahren des 19ten Jahrhunderts. Ohne die Initiative vom Privatsammler Konsul Wagener gäbe es kein Museum,was sich heute Nationalgalerie nennt. Insofern, was ich eben sagte, die Museen sind immer auf die Unterstützung der Privatsammler angewiesen und – lassen Sie mich das noch so formulieren: Die Museen sind immer Kinder ihrer Zeit und auch die Sammlungen sind Kinder ihrer Zeit sowie auch die Privatsammler immer aus ihrem zeitgenössischen Umfeld heraus sammeln beziehungsweise auch agieren.
MG: Sie sind seit der 80er Jahre schon im Kunstfeld tätig. Was hat sich während dieser Zeit geändert?
UK: Es hat sich über die letzten zwei Jahrzehnte wahnsinnig viel verändert. Keiner konnte Ende der 80er Jahre annehmen, dass gerade die zeitgenössische Kunst solch eine Aufmerksamkeit gewinnen würde, wie sie es gerade in den letzten 10 Jahren getan hat. Die Kunst galt immer als eine Form der kulturellen Nische und heute müssen wir erleben, dass die Medien in aller Breite über Kunst, über Künstler, über Museen, über Privatsammler berichten. Man könnte sagen, die zeitgenössische Kunst ist im Leben angekommen; und eben auch die Künstler. Heute wird von Künstlern berichtet, wie vormals vielleicht von Schriftstellern oder von Filmschauspielern. Das ist etwas, was sich erst in den letzten20 Jahren zunehmend ereignet hat.
MG: Wie erklären Sie diese Transformationen?
UK: Sicherlich ist der Grund darin auch zu sehen, dass die Kunst zunehmend als ein finanzielles Fundament gesehen wurde, also die Spekulation um Kunstwerke hat sicherlich auch zugenommen. Es gibt diese Hitlisten der Künstler, wenn sie genau Kunstzeitschriften oder Berichterstattungen beobachten sind es immer die Top 100 Künstler. So ist natürlich Kunstgeschichte nie gewesen. Es scheint sich derzeit immer alles auf die gleichen Künstler zu konzentrieren. Zumindest war das so in den letzten 10 Jahren. Ich glaube Anzeichen zu erkennen, dass sich das auch verändert. Ich glaube schon auszumachen, dass ein kritisches Verhältnis auch zum Kunstmarkt von allen Seiten aus in Betracht gezogen wird.
MG: Sie sind ihrer Position bewusst, dass ein Museum, wie zum Beispiel die Nationalgalerie oder Hamburger Bahnhof auch ein Valorisierungsort ist; macht das die Beziehung zwischen dem Museum und dem Sammler kompliziert?
UK: Es ist nicht komplizierter als es wahrscheinlich schon immer gewesen ist. Ich glaube, dass die Museen sich zunehmend wieder als der Ort von Kreativität verstehen müssen. Sie müssen in jedem Fall in meinem Verständnis auch wieder mehr ihre Entscheidungen unabhängig von allen anderen Prämissen fällen können. Sonst verlieren sie tatsächlich ihre Unabhängigkeit. Ich glaube, dass wir gerade in der Nationalgalerie sehr, sehr unabhängig arbeiten. Gerade die Wahl der Künstler entspricht sicherlich nicht immer denen, die zu erwarten sind. Da gibt es gute Beispiele, vielleicht kommen wir dazu noch. Insofern gilt es, ein großes Selbstbewusstsein zu schaffen. Wir haben es, glaube ich.
MG: Nochmal zurück auf die privaten Sammlungen. Wegen der kleineren Budgets von öffentlichen Museen und natürlich dem Wachstum der finanziellen Mittel von privaten Sammlungen, entstehen jetzt heutzutage viele private Museen. Wie sehen Sie den Unterschied zwischen den privaten Museen und den öffentlichen Museen?
UK: Das wird sich erst entscheiden in einer Zeit, die wir in diesem Moment vielleicht noch gar nicht überblicken können. Die öffentlichen Museen, seit es Museen gibt, haben jede Krise überstanden. Da konnten große Kriege kommen, es konnten große Zeiten kommen von großen finanziellen Schwierigkeiten. Sie gibt es bis heute. Insofern vertraue ich immer auf die öffentliche Hand auch, denn das ist die Öffentlichkeit, das sind wir. Wir haben ein Interesse unbedingt daran, als Gesellschaft Museen offen zu halten und hoffentlich nicht zu schließen. Was mit den privaten Sammlungen und privaten Museen passieren wird, das werden wir in der Zukunft sehen. Wir wissen alle, wie aufwendig es ist, Museen zu betreiben, wie auch finanziell aufwendig es ist. Ob das auch privat immer so durchgehalten werden kann, also ich glaube an beide Formen in diesem Moment, sehe aber auch große Vorteile bei den öffentlichen Museen.
MG: Zweifeln Sie an der Kontinuität privater Museen?
UK: Das eine oder andere wird sicherlich auch langfristig überleben, aber ich glaube dass selbst private Museen mit den öffentlichen Museen zusammenarbeiten müssen. Ich glaube nicht, dass sie sich als reine, unabhängige Institution verstehen können. Wir brauchen uns untereinander, so wie auch das Museum die Privatsammler braucht, aber die Privatsammler brauchen ja unbedingt die Museen, denn die Museen tragen vor allen Dingen dazu bei, dass Künstler langfristig eine Wirkung haben.
MG: Sehen Sie private Museen manchmal als eine Konkurrenz?
UK: Nein, nie. Also, ich weiß, dass manche Menschen das so sehen. Ich habe das nie so gesehen, werde es auch nie so sehen. Ich glaube, das sind Mitbewerber geworden und das tut ja auch gut. Wenn man sich ins Verhältnis setzen muss, wenn man miteinander auch diskutiert, wenn mach miteinander spricht. Aber Konkurrenz oder so sehe ich darin überhaupt nicht.
MG: Sie haben natürlich auch andere Aufgaben. Können Sie sich vorstellen, dass private Museen mehr experimentelle Sachen machen könnten?
UK: Nein, auch das sehe ich nicht, weil, das ist wieder das, was von jedem, jeder einzelnen Institution, abhängt, inwieweit sie sich auf Experimente einlässt. Jetzt wieder für die Nationalgalerie mit all ihren sechs Häusern gesprochen: ich glaube, dass wir sehr risikobereit sind, wunderbare Experimente machen und das ist keine Frage, ob wir Geld haben oder weniger Geld haben oder viel Geld haben. Wir sehen das als unsere Aufgabe an, als kreative Herausforderung, auch in der Frage: Was muss ein Museum leisten und ich glaube, für mich stellt sich das nicht als das große Problem dar.
MG: Können Sie sich vorstellen, dass Sie je ein Direktor von einem privaten Museum werden?
UK: Im Moment sicherlich nicht. Ich habe keine Museumskarriere gemacht, wie das sonst üblich ist. Ich komme ja aus einem ganz anderen Feld heraus und ich muss sagen, seitdem ich Museen leite, habe ich mich in diese Institution Museum unglaublich verliebt und mit Leidenschaft mache ich diesen Job.
MG: Ich habe vor einigen Wochen mit dem Kunstkritikers David Hickey gesprochen und er sagte, dass das größte Problem heutzutage mit den öffentlichen Museen ist, dass sie eigentlich das kopieren, was die privaten Sammler machen, also ein bisschen von allem, und keine, wirkliche Analyse der Kunst oder Analyse der Künstler.
UK: Da hat er sicherlich Recht. Das ist genau das, was ich eben ansprach, dass die Museen in Zukunft sicherlich wieder viel mehr ihre eigenen Entscheidungen und Überzeugungen zu treffen haben. Ich möchte Ihnen zwei Beispiele geben: Derzeit zeigen wir noch eine Retrospektive des deutschen Künstlers Martin Honert. Man kann wirklich nicht sagen, dass Martin Honert ein in der großen Breite des Publikums bekannter Künstler ist, Antony Mc Call, den wir davor gezeigt haben, in einer großen Ausstellung sicherlich auch nicht. Wir haben uns darum zu kümmern, dass wir diese Künstler zeigen und präsentieren, von denen wir, das heißt das Museum und die, die das Museum leiten und es gestalten, überzeugt sind und nicht Trends nachzugeben, sondern wir haben die Aufgabe, Trends zu setzen und nicht Trends nachzulaufen. Das ist sicherlich etwas, was man durchaus sehr selbstkritisch gegenüber den Museen in den letzten Jahrzehnten anmerken kann.
MG: Manche Direktoren von Museen haben eine ganz andere Haltung. Sie sagen: Wir brauchen die privaten Sammler, auch um Trends so zu zeigen, weil als Museum können wir das nicht alles gleichzeitig vorgeben.
UK: Was ja stimmt und wieder auch überhaupt nicht stimmt. Es stimmt in meinem Verständnis auch nicht, dass die Museen nicht sammeln können, also ich spreche jetzt von deutschen Museen. Es gibt ja Möglichkeiten Künstler zu sammeln, sehr frühzeitig zu sammeln, und man muss nur der Überzeugung sein, das ist eine wunderbare künstlerische Position und dann kostet sie auch nicht viel. Erst, wenn sie im Markt etabliert ist, dann wird sie mitunter für die öffentlichen Museen, zu teuer. Aber, so war das auch immer, so ist das Leben. Ja, also ich hab damit kein Problem.
MG: Hugo von Tschudi, der frühere Direktor von der Nationalgalerie, hatte am Ende des 19. Jahrhunderts seinen Job verloren, weil er Arbeiten gekauft hat von Monet und Cezanne. Können Sie sich so etwas vorstellen, dass Sie entlassen werden, weil Sie zu provokante Arbeiten gekauft haben?
UK: Ich hoffe, dass die Gesellschaft gerade in Deutschland durch die historischen Ereignisse doch etwas dazu gelernt hat. Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Was ich mir aber weiterhin nicht vorstellen kann, das ist, dass es durchaus künstlerische Positionen gibt, die zu großen kontroversen Diskussionen einladen.
MG: Zum Beispiel?
UK: Martin Kippenberger; seine Froschskulptur hat einmal in Bozen, also wir sprechen von Tirol, Südtirol, einen großen Skandal hervorgerufen. Es gibt immer solche Kunstwerke, wo Menschen sich berührt fühlen, aber meistens auf Grund des Nichtwissens, in welchem Kontext sie ein künstlerisches Werk zu stellen haben. Die Kunst soll ja auch irritieren und manchmal kann sie sogar noch provozieren. Aber die Fälle sind auch seltener geworden. Aber so etwas, was Sie gerade erwähnen, dass Positionen wie van Gogh und so etwas in Frage gestellt werden, so konservativ, denke ich, sind die Zeiten nicht und sollten sie hoffentlich auch nie wieder werden.
MG: Sie arbeiten also in einem Feld, wo heutzutage eigentlich alles möglich ist.
UK: Ja, ich hab Anfang der 90er Jahre mal eine Ausstellungsreihe gemacht in vier Teilen oder sechs Teilen mit dem Titel: Plötzlich ist eine Zeit herein gebrochen, in der alles möglich sein sollte, und wir leben ja zunehmend in einer Zeit, wo es schwer fällt, sich zu orientieren – in allen Lebensbereichen. Und wir müssen sicherlich, was unsere gesamte Gesellschaft auch international betrifft, wieder zu neuen Kategorien kommen, um den Menschen so etwas wie Orientierung zu geben. Aber jedes Zeitalter hat seine Phänomene und im Moment leben wir in einem Zeitalter großer Unsicherheiten.
MG: Ist Geld in dieser Zeit der Unsicherheit wichtig?
UK: Es sind vor allen Dingen die Wege des Geldes, die zu einem großen Teil zu dieser Unsicherheit beigetragen haben.
MG: Ein Kurator hat einmal gesagt, dass heutzutage die Museen keine Kunst sammeln, aber die Sammler. Würden Sie damit einverstanden sein?
UK: Sowohl, als auch. Sie sammeln sowohl die Kunst, wie Sie auch versuchen die Sammler, die wirklich über gute Sammlungen verfügen, an sich zu binden. Insofern stimmt das sogar. Man sammelt auch Sammler. Ist auch gut so.
MG: Wie binden Sie die Sammler an das Museum?
UK: Da gibt es auch nicht die eine Antwort darauf. Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben, was gerade jetzt hier in Deutschland sehr prominent ist. Als ich hier in Berlin anfing, habe ich als eine der ersten Ausstellungen die Privatsammlung des Ehepaares Ulla und Heiner Pietzsch gezeigt. Das ist sicherlich eine der größten Sammlungen Surrealistischer Kunst der ersten Hälfte des 20sten Jahrhunderts. Die Sammler und ich hatten große Kontroversen, aber wir mussten da durch. Zu unserem Glück haben wir beide diese Kämpfe ausgestanden und das Ergebnis war dann so gut, dass das Ehepaar diese Sammlung komplett an Berlin geschenkt hat.
MG: Sie sind immer noch Kurator. Das bedeutet, dass Sie auch sehr gut mit Künstlern arbeiten können und ich bin mir sicher, dass Sie auch viel mit Künstlern reden. Wenn Sie zum Beispiel durch Messen Basel oder Miami rumlaufen, wie erleben Sie das?
UK: Ich blende vieles aus und es fällt mir zum Glück auch zunehmend leichter, es auszublenden. Ich habe mich von Anfang an immer an den Künstlern orientiert. Sie geben mir die Energie und ich bin damit auch immer gut gefahren. Die Künstler sind die Basis eines jeden Kunstmuseums. Wenn wir nicht den Respekt der Künstler bekommen, dann verliert das Museum an Bedeutung. Wir müssen uns vor allen Dingen um unser persönliches Verhältnis zu den Künstlern kümmern. Wir müssen das größte Vertrauen haben – seitens der Künstler. Wenn die Künstler das Vertrauen in eine Institution wie Museum verlieren, dann haben die Museen allerdings wirklich ein Problem.
MG: Sind viele Künstler heutzutage kommerziell orientiert?
UK: Haben sie das nicht immer gemacht? Künstler haben sich immer auch um ihr Einkommen kümmern müssen. Es gibt natürlich immer Ausnahmen, da ist das verkannte Genie oder da ist der Künstler, dem der finanzielle Aspekt, völlig egal war. Aber allgemein glaube ich, will ein Künstler auch mit seiner Kunst sein Leben bestreiten. Und insofern hat sich da auch nichts geändert gegenüber der gesamten Historie.
MG: Glauben Sie, dass jetzt eine neue Generation der Künstler entstanden ist, die vielmehr als Manager denken und mehr geldbewusst sind?
UK: Rembrandt hatte seine Blätter massenhaft unters Volk gebracht. Sie sehen, dort fängt es ja auch schon an, aber was sicherlich auffällig ist, dass sich die Künstler in Bezug auf den Kunstmarkt professionalisiert haben. Sie werden sehr viel früher durch den Kunstmarkt entdeckt und in den jeweiligen Nischen des Kunstmarktes auch etabliert. Das ist sicherlich auffällig und ich glaube auch, dass dies zunehmend Einfluss auf die künstlerische Produktion hat. Sie kennen auch ja Künstler, bei denen man sich fragt, wie sie eigentlich so viele Ausstellungen bedienen können? Die Produktion muss also ungeheuer auch in Quantität zugenommen haben und da bin ich schon der Meinung, dass dies auch Einfluss auf die Qualität hat. Aber, wie ich auch sagte, ich glaube Anzeichen zu erkennen, dass eine Selbstkritik in allen Bereichen am Wachsen ist.
MG: Sie sind auch Kurator des Russischen Pavillons in Venedig 2013: ein deutscher Kurator für den russischen Pavillon. Warum haben Sie das gemacht?
UK: Wegen des Künstlers. Der Künstler ist ja Vadim Sacharow; er wurde seitens der russischen Kommissarin ausgewählt und Vadim Sacharow konnte seinen Kurator auswählen. So ähnlich wie es eben auch Frankreich hat und glaube ich auch Kanada. Vadim Sacharow kenne ich seit Ende der 80er Jahre. Wir haben seitdem immer kontinuierlich zusammengearbeitet und es lag für ihn sicherlich nahe, mich zu fragen, und ich konnte nicht Nein sagen, wenn ein Künstler, an den ich über 20 Jahre glaube, jetzt so eine große Chance hat, dann muss man diesem Künstler auch zur Seite stehen.
MG: Ist es Ihnen wichtig eine „Russische“ Ausstellung mit Sacharow zu präsentieren?
UK: Nun ist ja Vadim Sacharow ein russischer Künstler. Er ist in der frühen Sowjetunion sozialisiert worden. Sein Werk ist so, wie es ist. Es hat ja eine unglaubliche Nähe zur Moskauer konzeptuellen Schule, er ist einer der Protagonisten dieser Schule. Insofern ist sein Werk ohne den Kontext Russlands gar nicht zu lesen oder zu verstehen.
MG: Es gibt so ein Phänomen, vielleicht mehr in unserer Zeit denn davor, das sind die Hypes. Ein Künstler wird gehypt, das heisst, die Preise seiner Werke steigen plötzlich schnell an und gehen dann schnell wieder zurück. Was finden Sie davon?
UK: Ich glaube, es war auch schon immer so. Es gab Künstler, auch im 19. Jahrhundert, die gehypt wurden und heute vergessen sind. Ich will Ihnen auch ein ganz prominentes Beispiel aus dem 19ten Jahrhundert geben. Ein Künstler wie Caspar David Friedrich, der einmal sehr geschätzt wurde, war Ende des 19ten Jahrhunderts fast vergessen und wurde dann erst wiederentdeckt. Hypes hat es immer gegeben, wie es auch Bestseller als Buch immer wieder gegeben hat. Das ist nicht so, dass sich auf dieser Welt grundsätzlich neue Dinge ereignen. Das ist auch großer Irrtum. Wir erleben sie natürlich als Menschen in der Zeit, in der wir leben immer, auch anders, beziehungsweise noch einmal neu und Hypes gehören zum Leben dazu. Es gibt Dinge, die wir in einem bestimmten Moment favorisieren, wie wir in einem bestimmten Moment unseres Lebens die Musik mögen, und später wieder Abstand nehmen und dann später vielleicht erst mit großer Verspätung zu einem Liebhaber der klassischen Musik werden. Insofern kann ich an Hypes nichts Schlechtes ausmachen.
MG: Es gibt trotzdem einen großen Unterschied, weil wir früher natürlich kein Internet hatten, hatten wir kein Artprice und kein Artnet die mit Sicherheit diese Prozessen beschleunigen. Heute kann jedes Aktionsresultat sofort eingesehen werden und sehr oft hört man die Sammler sagen: this one is out, that one is in. Das ist eine ganz andere Art und Weise von Denken.
UK: Da haben Sie Recht. Die Meinung ist beeinflussbarer geworden. Man kann Meinungen schneller beeinflussen durch die neuen Medien. Sie können innerhalb von 24 Stunden eine Meinungsmehrheit über etwas erzielen, was früher vielleicht ein Jahrzehnt gedauert hätte. Die Prozesse der Meinungsbildung sind ganz kurz geworden. Das ist sicherlich zu kritisieren, weil auch der kritische Abstand dazu fehlt. Wie schnell schließt man sich eigentlich einer Meinung an? Wie weit nehmen wir uns noch Zeit, Meinungen zu hinterfragen und uns dann erst dazu zu äußern. Wir sehen es wunderbar an Politikern, die mitunter in wenigen Stunden zu einer scheinbar umfangreichen Meinungsbildung kommen müssen. Und das gilt sicherlich wieder für alle Lebensbereiche. Ich glaube das ist noch ein anderes Phänomen als Hype. Das ist, inwieweit unsere Mediengesellschaft, unser ganzes Denken und unsere Entscheidungsprozesse verändert hat.
MG: Das hat auch damit zu tun, wie Sie am Anfang gesagt haben, Kunst auch ein financial asset geworden ist; auch darum handelt man natürlich schneller.
UK: Ja sicher.
MG: Was denken Sie zum Beispiel von der neuen Leipziger Schule? War sie ein Hype?
UK: Ja, das war sicherlich ein Hype. Sie erleben aber noch etwas anderes in den letzten Jahrzehnten im Bereich der Kunst. Sie haben alle paar Jahre eine neue Region der Welt, wo neue Künstler proklamiert werden. Die russische Kunst war einmal ein Thema am Ende der 80er Jahre, Anfang der 90er Jahre. Dann, nach drei, vier Jahren hat man das dann wieder fallen gelassen. Dann hat man sich dem afrikanischen Kontinent zugewandt. Auf einmal hieß es: ja, dort sind auch ganz fantastische Künstler. Natürlich, die gibt’s wirklich auf der ganzen Welt, aber das wurde als Hype formuliert. Wir erleben immer wieder, dass diese Hypes schnell wieder aufhören. Dann waren es die Künstler aus dem Osten. Jetzt haben wir Künstler aus dem asiatischen Raum und aus dem indischen Raum. Demnächst werden wir uns sicherlich umso mehr kümmern müssen um die südamerikanischen Künstler und das geht immer einher, entweder mit politischen Veränderungen oder eben ökonomischen Veränderungen.
MG: Wollen die Sammler jedes Mal etwas Neues?
UK: Ja, wie gesagt, alle sind Kinder ihrer Zeit. Und ich wünschte mir im Allgemeinen natürlich, dass wir ein kritisches Verhältnis zu der Welt haben, in der wir heute leben. Ich glaube, das ist dringend angebracht.
MG: Könnten Sie sich vorstellen mit der neuen Leipziger Schule eine Ausstellung zu machen?
UK: Nein, das kann ich mir nicht vorstellen. Ich will Ihnen auch den Grund sagen, weil ich an solche Schulen nicht glaube, wie ich auch nie eine Ausstellung gemacht habe, die Künstler einer Nation, eines Landes oder einer Region ausgestellt hat. Ich glaube nur an die individuelle Leistung von Künstlern. Das entsprach nie meiner Überzeugung. Ich habe nur ein einziges Mal eine Ausstellung gemacht, die wirklich viele Künstler eines Landes versammelt hat. Der Titel war: Humanism in China, das waren nur die chinesischen Photographen.
MG: Was denken Sie über Spekulanten, die im Kunstmarkt tätig sind?
UK: Dem Künstler hilft es; ob der Künstler dann noch in 20, 30 Jahren eine Rolle spielt, das wird sich dann zeigen, denn am Ende setzt sich dann doch wieder Qualität von Kunst durch und vor allen Dingen das, was in den Museen weiter gezeigt wird. Die Museen sind dann am Ende, da glaube ich fest dran, das berühmte Zünglein an der Waage. Sie sind letztlich die Entscheider.
MG: Über Qualität gesprochen, Sie haben eine sehr wichtige Rolle in dem Durchbruch von Jack Whitten gespielt der im Alter von 65 wiederentdeckt wurde. Wie erklären Sie das?
UK: Ach, das trifft auf ganz viele, ganz wunderbare Künstler zu. Es gibt Künstler, und das ist sicherlich die Mehrheit, die überhaupt nicht markt-konform arbeiten. Es sind Künstler, die auch gar nicht schnell produzieren können, die sich eben zu einer medialen Aufarbeitung überhaupt nicht eignen. Und da dauert es manchmal 20, 30 Jahre, also Jahrzehnte, bis der Wert und die Qualität eines Werkes entdeckt werden kann. Dazu gehört natürlich unbedingt auch Jack Whitten. Bei ihm kommt sicherlich noch erschwerend hinzu, dass ein schwarzer amerikanischer Künstler, gerade in dem Prozess der 70er und 80er Jahre, es viel schwieriger hatte Sichtbarkeit zu bekommen. Da sind natürlich auch wieder lokale Spezifika ausschlaggebend. Zum Glück habe ich gerade gehört, dass Jack Whitten bei der nächsten Biennale in Venedig dabei sein wird. Ich freue mich darüber wahnsinnig. Ja, ich glaube an diese Regulierung von Qualität jenseits des Kunstmarktes. Sonst könnte ich nicht so arbeiten wie ich glaube, dass ich es tue.
MG: Die Frage ist, was ist die Qualität?
UK: Die muss jeder immer wieder für sich neu entscheiden. Ich glaube, als Kurator oder als Museumsdirektor, muss man sich ein eigenes Bild machen, zu einer eigenen Überzeugung kommen und dann sagen: Ich glaube daran. So wurde es früher immer gemacht. Die Direktoren sind eingetreten für das, was sie glaubten wichtig sei.
MG: Sie glauben nicht, dass Sie die Verantwortung haben, alles zu zeigen was in der Welt passiert sondern dass Sie die Verantwortung haben, das zu zeigen, was Sie als gute Qualität achten?
UK: Ich habe vor allen Dingen in diesem Kontext eine Verantwortung gegenüber dem Publikum. Das Publikum ist neben dem Künstler das wichtigste. Das heißt, ich habe die Aufgabe, dem Publikum einen Querschnitt – und hoffentlich einen qualitativ hochwertigen Querschnitt – zu präsentieren, zur Diskussion zu stellen, von dem was in der Kunst derzeit passiert.
MG: Glauben Sie, dass Museum eigentlich auch Entertainment ist? Ihre Ausstellung mit Carsten Höller hat ein großes Entertainmentpotenzial.
UK: Nein, ich glaube nicht an Entertainment. Ich glaube schon, dass sich in einem Museum etwas ereignen soll. Wenn Sie Carsten Höller ansprechen, war sicherlich eine Ausstellung, die vielen Menschen gefallen hat. Was ist daran schlecht wenn Menschen Kunst mögen? Ich kann darin nichts Negatives sehen. Sie mögen aber auch wieder sagen, Martin Honert ist ein Künstler, der nicht viel gezeigt wurde. Es brauchte drei Jahrzehnte, um diese Ausstellung so zusammenzustellen, weil sein Werk sich so langsam entwickelte und die Ausstellung hat nun schon über 100.000 Besucher. Publikum ist wichtig. Klar, ich kann mich in einem öffentlichen Museum nicht nur zu einem philosophischen Diskurs über die Kunst einfinden. Ich habe eine Aufgabe dem Publikum gegenüber.