Sammler und Jäger
Published: October, 2014, DIE WELT AM SONNTAGDer wunderschön gestaltete, grafische Druck „Orchard Sheet“ der Künstlerin R.H. Quaytman aus dem Jahr 2009 umfasst eine komplette Liste von den Kunstwerken, die in der legendären Orchard Gallery in New York zwischen 2005 und 2008 verkauft wurden. Gelistet werden alle Werke, ihre Preise, sowie die Namen ihrer Käufer. Die Vorgehensweise von Quaytman, die sowohl Künstlerin als auch Co-Inhaberin der Orchard Gallery war, die Namen der Käufer und die erzielten Preise offenzulegen, ist außergewöhnlich – stellt doch Diskretion gegenüber Sammlern von jeher eines der obersten Gebote der Branche dar.
Warum, fragt man sich, hat sie es dann getan? Wahrscheinlich um zu zeigen, dass Galerien nicht nur Kultur schaffen, sondern auch Kunstwerke verkaufen – ein Aspekt, der sonst selten beleuchtet wird. Und doch macht es Sinn: Bereits zuvor hatte die Orchard Gallery sich mit den sozialen und ökonomischen Bedingungen von Künstlern auseinandergesetzt. „Orchard Sheet“ zeigte auch, dass von dem Boom, der die New Yorker Kunstszene antrieb, nicht alle profitierten. Die Verdienstunterschiede unter den Künstlern der Galerie waren immens, während die Galerie kaum die eigenen Kosten decken konnte. So wird der Mythos der Bedeutungslosigkeit von Geld im Kunstprozess in Quaytmans Arbeit von der Realität davon gespült. Dies verbindet sie mit Stefan Simchowitz, einem Mann, der auf den ersten Blick, das Gegenteil von ihr zu verkörpern scheint.
Der in Südafrika geborene und nun in Los Angeles lebende, selbsternannte Kulturunternehmer Simchowitz (Jahrgang 1970) ist zum Enfant terrible – oder prosaischer formuliert – zur Nervensäge für viele Galerien und Kunstinstitutionen geworden. Er war einmal ein erfolgreicher Hollywood-Filmproduzent, außerdem Besitzer von Media Vest, einer Bildagentur, die er im Jahr 2007 für 200 Millionen US-Dollar verkaufte. Dies eröffnete ihm die Möglichkeit sich ganz und gar der Kunst zu widmen: als Sammler, Berater und Händler. Kunst war hier weder zufälliger Impuls noch eine plötzliche Laune. Simchowitz’ Mutter ist Künstlerin, und sein Vater hat sich eine ausgezeichnete Sammlung moderner Kunst aufgebaut.
Seinen Einstieg fand er, indem er Kunstwerke über soziale Medien zeigte und bewarb. Heute entdeckt er junge Künstler und erwirbt ihre Werke in großer Stückzahl zu niedrigen Preisen da sie häufig keine Galerien haben erwirbt. Er hilft den Künstlern bei ihren alltäglichen Problemen und gibt ihnen hin und wieder auch künstlerische Ratschläge. Gleichzeitig berät Simchowitz Sammler beim Kauf. Viele folgen seinen Empfehlungen blind, manchmal sogar ohne sich die Arbeiten vorher anzusehen. Auf seinem Instagram-Profil finden sich Bilder von Künstlern, Kunstwerken, Protagonisten der Kunstwelt, sowie vor allen Dingen Bilder von ihm selbst. Einmal hält er dabei seinen Sohn, ein anderes Mal ein Kunstwerk mit dem Text „PRICK!“ im Arm.
Viele der zuvor genannten Aspekte seiner täglichen Arbeit könnten als klassische Galerie-Aktivitäten bezeichnet werden, denn der Aufbau junger Künstler durch Unterstützung, Beratung und Werbung gehört auch bei Galerien zum täglichen Geschäft. Was Simchowitz von ihnen unterscheidet, ist seine Ideologie in Bezug auf die Kunstwelt. In seiner Welt liegt der Genuss des Sammelns im Spiel – in der Geschwindigkeit, der Sichtbarkeit und dem finanziellen Profit. Der Reiz liegt für ihn im Hier und Heute. Dies steht im krassen Gegensatz zur klassischen Herangehensweise sich für einen kleinen Gewinn an kulturellem Ansehen an hermetischen Gesamtwerken abzuarbeiten. Simchowitz ermutigt seine Klienten, seinen Empfehlungen zu folgen ohne dabei zu viel Zeit damit zu verschwenden, sich mit ihrem eigenen Geschmack zu befassen oder eine eigene Sichtweise auf Kunst zu entwickeln. In einem vor kurzem erschienenen Interview mit „Artspace“ sagte Simchowitz:
„Wenn ich Dir etwas für einen Dollar verkaufe und Du verkaufst es dann für zwei Dollar an Deinen Kumpel und er verkauft es für vier Dollar an seinen Kumpel weiter, der es wiederum für acht Dollar an den nächsten Kumpel weiterverkauft, der es dann für zehn verkauft – nun dann sind das fünf Sammler, die die Arbeit gekauft, angesehen, diskutiert und Profit damit gemacht haben. Und dann fühlen sie sich noch gut, weil sie in die Produktion von Kultur investiert haben – und das ist gar nicht so einfach, denn am Ende des Tages hat Kunst keinen Wert.“
Das ist eine provokante Aussage, denn Simchowitz streitet die moralisch hochangesehene Idee von der Nichtschätzbarkeit von Kunst nicht ab. Er sagt, dass er den Markt benutzt, um eine Plattform zu erschaffen, auf der diese unbezahlbare kulturelle Produktion überhaupt stattfinden kann. Er rechtfertigt sein kommerzielles Vorgehen mit dem Argument, dass er ein ehrliches Interesse an der Entwicklung von Künstlern hat und am Entstehungsprozess der Kultur unserer Zeit teilnehmen möchte. Indem er sich für den Weiterverkauf von Kunst einsetzt, verändert er quasi im Vorübergehen die Kernmotivation des Sammlers – von dauerhaftem zu vorübergehendem Besitz.
Die Reaktionen von Galerien und Kritikern waren leicht vorhersehbar: Er ist ein Zocker, er versteht überhaupt nichts von Kunst, Kunst hat nichts mit Geld zu tun, er ist ein Barbar und jedes Wort über ihn verschwendeter Atem. Ist das wirklich so?
Simchowitz verstört vor allen Dingen mit seinen unverblümten Äußerungen und seinem aggressiven Verhalten. Wenn er mit besonders jungen Künstlern spricht, beginnt die Unterhaltung mit Komplimenten, kann sich aber schnell drehen und beleidigend werden. Und wenn der Galerist bestimmte Arbeiten nicht verkaufen möchte, dann sagt Simchowitz ihm schon einmal, dass er „sich ficken soll“ oder wenigstens, dass er der Realität ins Auge sehen soll’. Dann geht er meistens direkt auf den betreffenden Künstler zu und erklärt ihm oder ihr, wie provinziell, engstirnig und amateurhaft seine oder ihre Galerie ist. Sich selbst geriert er dabei als den einzigen Menschen, der den Künstler reich machen und in den wichtigen amerikanischen Sammlungen unterbringen kann – europäische Sammler sind für ihn nicht wichtig. Manche Künstler finden das widerlich, andere nehmen das Angebot an.
Diese unangenehme Methode verschleiert jedenfalls, dass Simchowitz mit seiner Ideologie die moralischen Grundfesten unseres seit dem 19. Jahrhundert existierenden Kunstmarkts unterhöhlt. In diesem System war ein guter Sammler der, der sich nicht für Geld interessiert, der Künstler lebte nur für die Kunst, und die Kunst wurde als für das normale Leben völlig nutzlos betrachtet. Während des 20. Jahrhunderts gab es jene Theorien, die Kunst als etwas sahen, was den Betrachter auf eine über das Leben erhabene Ebene bringt, eine Welt in der menschliche Interessen, ganz besonders ‚das schlimme Geld’, irrelevant sind.
Am Beispiel Simchowitz’ lässt sich erkennen, dass diese Definitionen von Gut und Böse, genau wie andere Prinzipien der Moderne, problematisch geworden sind. Die Vorstellung von der Avantgarde ist leise ausgestorben, Künstler wissen das große Publikum mittlerweile zu schätzen, sie wollen niemanden abwatschen und kaum ein Künstler würde die Ober- und Mittelschicht als verabscheuungswürdig bezeichnen. Stattdessen wollen Künstler einen Raum der Auseinandersetzung schaffen, wobei sie dem Betrachter, der nunmehr zum abstrakten Faktor geworden ist und der keiner bestimmten sozialen Schicht mehr zugeordnet wird, einen essentiellen Part in der Bedeutungsfindung des Kunstwerkes zuweisen. Darüber hinaus beginnt die Rolle der traditionellen Autoritäten zu verschwimmen: Kunstkritiker haben ihr Vertrauen in die Relevanz von Kunst verloren, Museen befassen sich mehr mit dem globalen Wettbewerb und versuchen ihre Programme dahingehend zu erweitern.
In diesem zersplitterten Gefüge von Autorität versucht Simchowitz ein neuer Clement Greenberg zu werden. Jemand, der andere dazu bringt ihm zu folgen, weil er weiß, was gute Kunst ist. Dieser Vergleich mit diesem einflussreichen, amerikanischen Kritiker ist vielleicht etwas weit hergeholt, schließlich hat Greenberg sich seinen Ruf durch die klare Formulierung und die beständige Durchsetzung einer neuen Ästhetik, die den künstlerischen und sozialen Ansprüchen der Zeit gerecht wurde, erarbeitet. Allerdings scheint es, als ob der Erwerb von Autorität heute nicht mehr vom Einfluss auf ästhetische Prinzipien als solche abhängt. Vielmehr scheint Autorität aus einem starken, anregenden Vortrag von Meinungen und Bildern, die das Versprechen von emotionaler und finanzieller Rendite in sich tragen, zu erwachsen. Und das ist Simchowitz’ Spezialgebiet.
Die folgende Aussage seines Klienten, dem Schauspieler und Produzenten Enriquo Marciano, verdeutlicht in welcher Art und Weise Simchowitz seinen Status und seine Gefolgschaft erworben hat:
„Wenn er sagt ‚Kauf das!’, dann kaufe ich es. Ich muss nicht wissen, wie groß es ist. Ja, viele Male habe ich Dinge gekauft, ohne vorher zu entscheiden, ob ich sie mag oder nicht, ohne auch nur ein Bild gesehen zu haben. Ich habe Oscar Murillos Werke gekauft, als sie noch 500 Dollar gekostet haben, Joe Bradleys, als sie noch für 6000 Dollar zu haben waren, Ryan McGinleys Sachen waren quasi umsonst.“
Simchowitz verdankt seine Autorität dem Wertzuwachs der Werke, die er seinen Klienten ans Herz gelegt hat. Doch wenn ein Klient wie Marciano öffentlich zugibt, dass er kauft ohne eine eigene Meinung oder persönliches Engagement mitzubringen, gleichzeitig aber über Preise spricht, die eine Ahnung von dem gewaltigen Profit vermitteln, den er aus diesen frühen Blindkäufen geschlagen hat, dann es ist die Ideologie des Sammelns, die hier auf dem Spiel steht. Da gibt es keine persönliche Auswahl, keine subjektive Bedeutung. Trotzdem gibt es ein Gefühl von Freude und die Vorstellung des Beteiligtseins durch den Erfolg der Künstler. Das jedoch ist keine unschuldige Feststellung. Wenn sich die Einstellung von Sammlern in diese Richtung weiterentwickeln würde, wenn Geld zum moralisch akzeptierten Genussfaktor unter Kunstbesitzern würde, dann wird das auf lange Sicht das bestehende System zerstören und neue moralische Standards müssten definiert werden.
Simchowitz konnte seine Unternehmungen nur dank des Internets und der sozialen Medien ausweiten. Sie erlaubten ihm Bilder und Informationen schnell zu verbreiten, sich als Figur in den Medien zu etablieren und dabei eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen. Die zentrale Bedeutung des Internets für die Kunst liegt nicht in den neuen technischen Möglichkeiten bei der Erschaffung von Bildern. Nein, sie liegt in der Verteilung von Bildern und der Tatsache, dass so die konsumierende Öffentlichkeit erreicht wird. Der jüngste Hype von junger, internetaffiner Abstraktion hat die schnelle Verteilung, die Serienproduktion und den Genuss, der im Weiterverkauf liegt, deutlich illustriert.
Man könnte behaupten, dass Simchowitz ein Narr ist, aber man kann ihn auch als Phänomen betrachten. Er treibt den Wandel voran, der bereits von Künstlern wie Quaytman wahrgenommen und beleuchtet worden ist. Simchowitz ist Teil eines größeren Ganzen und erst sein Handeln macht die längst überholten Mythen, die sich um das künstlerische Schaffen ranken, sichtbar und initiiert ihre Dekonstruktion, also den Zerfall des existierenden Systems. Wir befinden uns an der Schwelle zu einem Wandel und die Frage ist nicht, ob sich etwas ändern wird, sondern in welcher Form.
Die Welt der Kunst ist in Bewegung: der Gegensatz zwischen der Elite und der Masse hat sich als überholt herausgestellt und bietet keine funktionierenden Erklärungsmuster mehr. Außerdem wird nicht mehr für die Ewigkeit, sondern für den Moment gesammelt. Weiterhin werden wir den Wert von Kunst in Geld auszudrücken, denn es ist der einfachste Weg für jene, die nicht über die Zeit oder das Wissen für eine differenziertere Einschätzung verfügen. Deswegen sollten wir aufhören gegen die moralische Korrumpierung der Kunst zu wettern – es wird nichts bringen. Die weit interessantere Frage wäre, welche moralischen Strategien wir entwickeln können, um das System auf die Herausforderungen, die mit den neuen Verteilungsmechanismen, Zugangsmöglichkeiten und einer neuen Generation von Sammlern einhergehen, vorzubereiten.
Photos von der Instagramseite von S. Simchowitz.